Strukturale Psychoanalyse

Die strukturale Psychoanalyse ist wesentlich mit dem Namen des französischen Analytikers und Psychiaters Jacques Lacan verbunden, dessen Vortrag „Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse“ aus dem Jahr 1953 als Initialwerk dieser analytischen Schule gelten kann. Ausgehend von einer Kritik an der Vernachlässigung des Unbewussten und Konflikthaften in den psychoanalytischen Ansätzen seiner Zeit fordert Lacan eine „Rückkehr zu Freud“. Vom strukturalen Anthropologen Claude Lévi-Strauss übernimmt Lacan die Vorstellung, dass das Unbewusste strukturiert sei wie eine Sprache. Der Sprache kommt in der strukturalen Psychoanalyse nicht bloß der Status eines sekundären Verständigungssystems zu, Sprache strukturiert als symbolisches und dem Individuum vorgängiges System ganz wesentlich die menschliche Subjektivität und damit auch das Unbewusste. Dieses wird von Lacan nicht als verborgenes Reservoir verdrängter Triebe gesehen, sondern als Wirkungen der Sprache, die das Subjekt spalten und entfremden.

Das Konzept des konstitutiven Mangels des Subjekts ist für die strukturale Psychoanalyse zentral. Im Versuch den Mangel zu beheben, muss sich das Subjekt der Sprache als symbolisches System – Lacan spricht auch vom „Gesetz des Vaters“ oder vom „Phallus“ – zuwenden. Dieser von Lacan beschriebene Entwicklungsschritt kann als strukturale Fassung des Ödipuskomplexes gelesen werden.

Die strukturale Psychoanalyse nähert sich dem Unbewussten über die Analyse der wörtlichen Rede an. Das Ziel der Psychoanalyse nach strukturalen Vorstellungen ist nicht das Wiedererinnern verdrängter Erlebnisse, auch nicht das Abreagieren von Affekten oder die Stärkung des Ichs, sondern die „Artikulation der Wahrheit“ des eigenen „Begehrens“.

Jacques Lacan (1901, Paris - 1981, ebenda)

Lacan gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker Frankreichs, als wichtiger französischer Intellektueller des 20. Jahrhunderts, aber auch als Enfant terrible seiner Zunft. Der studierte Psychiater hat nicht nur wesentlich zur Verbreitung der Psychoanalyse in Frankreich beigetragen, sondern mit seiner Neuinterpretation des Freud’schen Werkes aus einer philosophischen und linguistischen Perspektive eine eigene Schule begründet. Bereits 1936 liefert Lacan mit seinem Vortrag zum „Spiegelstadium“ am Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Entstehung des Ichs in seiner radikalen Angewiesenheit auf andere. Seine Kritik an bestimmten Ausprägungen der Psychoanalyse, vor allem der Ich-Psychologie, trägt 1938 zum Zerwürfnis mit seinem Lehranalytiker Rudolf Loewenstein bei. Seine unorthodoxe Theorie und Praxis – Lacan beendete, „skandierte“ eine analytische Sitzung nicht aufgrund des formalen Kriteriums der Uhrzeit, sondern ausgehend von inhaltlichen Aspekten – führen 1963 zu Lacans Ausschluss aus der Société Française de Psychanalyse (SPF) und 1964 zur Gründung seiner eigenen psychoanalytischen Vereinigung der École freudienne de Paris.

Foto: Jacques Lacan

Eve Watson: Structural Psychoanalysis

Dublin, 25. Jänner 2020

Eve Watson, Ph.D., ist in der psychoanalytischen Praxis, Ausbildung, Erziehung und Forschung in Dublin (Irland) tätig. Sie hat über dreißig Aufsätze über Psychoanalyse, Sexualität, Film, Kultur und Literatur veröffentlicht. Sie ist Mitherausgeberin des Buches Clinical Encounters in Sexuality: Psychoanalytic Practice and Queer Theory (2017, Punctum Books). Derzeit arbeitet sie an zwei Buchprojekten, eines über die Triebtheorie und das andere über Freuds Fallstudien. Sie ist akademische Leiterin des Freud-Lacan-Instituts (FLi) in Dublin und Herausgeberin von Lacunae, der internationalen Zeitschrift für Lacan‘sche Psychoanalyse. Im Jahr 2022 war sie Erik Erikson Scholar-in-Residence am Austen Riggs Centre in Stockbridge, Massachusetts.