Relationale Psychoanalyse
Die relationale Psychoanalyse stellt eine vergleichsweise junge psychoanalytische Richtung dar, die zwar über charakteristische Konzepte verfügt, dennoch nicht als geschlossene Schule verstanden werden kann. Ihr Ansatz ist integrativ und plural. Sie greift Konzepte anderer psychoanalytischer Schulen auf, aber auch aktuelle feministische, queere und postmoderne Diskurse.
Jay Greenberg und Stephen Mitchell haben den Begriff ‚relational‘ in ihrem 1983 erschienenen Werk „Object Relations in Psychoanalytic Theory“ geprägt. Darin formulieren sie die Absicht, die auf Erich Fromm, Clara Thompson und Harry Stack Sullivan zurückgehende, interpersonale Psychoanalyse mit der Objektbeziehungstheorie zu verbinden. Anliegen ist, den Schwächen einzelner Ansätze – etwa der Vernachlässigung innerpsychischer Konflikte im interpersonalen Ansatz, der Unterbestimmtheit sozialer Beziehungen in der Triebtheorie oder der zu geringen Berücksichtigung der Sexualität in der Objektbeziehungstheorie – durch eine komplementäre Perspektive zu begegnen. Der Freud’sche Triebbegriff wird von der relationalen Psychoanalyse als monadisch abgelehnt, stattdessen rückt das Konzept der „relationalen Matrix“ als anfängliches Beziehungsgefüge in den Mittelpunkt. Das Unbewusste wird nicht als aus verdrängten Triebrepräsentanzen bestehend aufgefasst, vielmehr konstituiert es sich aus nicht integrierten Fragmenten, die in Beziehungserfahrungen ihren Ursprung haben.
In der relationalen Psychoanalyse geht es nicht um einseitige Deutungen oder die bloße Freilegung verdrängter Inhalte, sondern um das Verstehen der sich dynamisch entwickelnden intersubjektiven Beziehung, die sich auch zwischen Analytiker*in und Analysand*in zeigt.
Stephen A. Mitchell (1946, New York City - 2002, ebenda)

Mit der Gründung und weiteren Ausarbeitung des relationalen Ansatzes in der Psychoanalyse ist vor allem der Name Stephen A. Mitchell verbunden. Der aus einer politischen, jüdisch-säkularen Familie stammende Mitchell studiert zunächst Kulturwissenschaft und Philosophie und promovierte 1972 in klinischer Psychologie. Am von Erich Fromm, Clara Thompson und Harry Stack Sullivan 1946 gegründeten William-Alanson-White-Institute in New York absolviert er seine psychoanalytische Ausbildung. Gegen jede Form der Orthodoxie und Normativität innerhalb der Psychoanalyse, plädiert Mitchell zeit seines Lebens für eine Vielfalt an theoretischen und praktischen Zugängen. Sein Ansatz die Beziehungsmatrix in den Mittelpunkt der Psychoanalyse zu stellen, hat im Besonderen auch die Analytiker*in-Position einer kritischen Revision unterzogen. Die Analytiker*in ist nicht länger externe, bewertende, deutende Beobachtende, sondern immer auch Mitkonstituierende des psychoanalytischen Settings.
Foto: Stephen Mitchell. Courtesy Margaret Black-Mitchell
Avgi Saketopoulou: Relational Psychoanalysis
New York, 1. Februar 2020
Avgi Saketopoulou, Dr., ist Psychoanalytikerin in New York City. Sie hat ihre Ausbildung u. a. im Rahmen des Postdoctoral Program in Psychotherapy and Psychoanalysis an der NYU absolviert und unterrichtet sowohl an der NYU als auch an anderen analytischen Instituten. Sie ist Mitglied des Editoral Boards von Psychoanalytic Quarterly, von Psychoanalytic Dialogues und Studies in Gender and Sexuality und publiziert zu den Themen Geschlecht, Psychosexualität, Rassisierung und Konsens. Zuletzt erschienen: Holding futurity in mind: therapeutic action in the relational treatment of a transgender girl (2018) und The Draw to Overwhelm: Consent, Risk and the Retranslation of Enigma (2019).