Objektbeziehungstheorien
Objektbeziehungstheorien stellen heterogene, vor allem auf Melanie Klein, William Fairbairn und Donald Winnicott zurückgehende Ansätze dar, die den Fokus auf die von Beginn an vorhandene interaktionelle Beziehung des Säuglings zu einer anderen Person (Objekt) legen. Diese präödipalen Objektbeziehungen werden als zentral für die weitere psychische Entwicklung angesehen. Wenn sie nicht gut gelingen, begünstigen sie die Entstehung schwerer psychischer Erkrankungen.
In ihrem zentralen Text „Über das Seelenleben des Kleinkindes“ beschreibt Melanie Klein die ersten Lebensmonate des Säuglings als eine Zeit, die von existentiellen Ängsten geprägt ist. Um diese zu bewältigen, bedient sich das kleine Kind bestimmter Abwehrmechanismen wie der Spaltung in gute und böse Selbst- und Objektanteile („gute“ und „böse Brust“) sowie der Projektion negativer Anteile nach außen. Durch eine gute Beziehung zu den ersten Bezugspersonen (Mutter) lernt das Kind, Ängste und Versagungen besser zu bewältigen, Spaltungsmechanismen aufzugeben sowie mit Ambivalenzen im Innen und Außen umzugehen. Eine wichtige Weiterentwicklung der Kleinianischen Objektbeziehungstheorie stammt von Wilfred Bion. Er beschreibt die Funktion der Mutter als „Container“; Sie nimmt die unerträglichen psychischen Zustände des Säuglings auf und hilft ihm, Spannungen und Ängste auszuhalten, was deren Integration in das kindliche Ich ermöglicht.
Die Objektbeziehungstheorien haben insbesondere für das Verständnis und die Behandlung von paranoiden und schizoiden Zuständen einen erheblichen Beitrag geleistet. Die intensive Auseinandersetzung mit den Stadien der frühen Objektbeziehungen spiegelt sich auch in ihren Behandlungsansätzen: In der Analyse der Übertragungsbeziehung zwischen Analytiker*in und Analysand*in können Objektbeziehungen im Hier und Jetzt bearbeitet werden.
Melanie Klein (1882, Wien - 1960, London)

Klein ist nicht nur eine zentrale Gründungsfigur psychoanalytischer Objektbeziehungstheorien, die für die Psychoanalyse heute eine unschätzbare Bereicherung darstellen, sie zählt ebenso zu den Pionier*innen der Kinderanalyse. Ermutigt durch ihren ersten Lehranalytiker Sándor Ferenczi beginnt Melanie Klein ihre eigenen Kinder zu analysieren und entwickelt als Äquivalent zur freien Assoziation in der Analyse Erwachsener eine psychoanalytische Spieltherapie. Auf Einladung von Ernest Jones übersiedelt Klein 1926 nach London. Ihre Ansätze – die vor allem der frühen, präödipalen Mutter-Kind-Beziehung einen zentralen Stellenwert in der psychischen Entwicklung einräumen – bringen Klein in Konflikt mit Sigmund Freuds Theorien. Ihre Ansätze zur Kinderanalyse treten wiederum in Konkurrenz zu Anna Freud. Aus diesen Differenzen um den ‚richtigen‘ psychoanalytischen Zugang werden zwischen 1942 und 1944 in der British Psychoanalytical Society die sogenannten Controversial Discussions geführt, die schließlich zur Etablierung von drei getrennten Ausbildungen führen: einer Kleinianisch, einer Freudianisch orientierten und einer unabhängigen ‚Middle Group‘.
Foto: Melanie Klein 1957. Courtesy Melanie Klein Trust und Wellcome Collection
Kirkland Vaughans: Object Relations Theories
New York, 1. Februar 2020
Kirkland C. Vaughans, Ph.D., ist klinischer Psychologe und Psychoanalytiker in New York City. Er ist Senior Adjunct Professor für Psychologie am Derner Institute of Advanced Psychological Studies (Adelphi University), Direktor des dortigen Postgraduiertenprogramms für Kinder- und Jugendpsychotherapie, Direktor der Derner Hempstead Child Clinic und Adjunct Clinical Professor im Rahmen des NYU Postdoctoral Program in Psychotherapy and Psychoanalysis. Darüber hinaus ist er einer der Gründer des Journal of Infant, Child, and Adolescent Psychotherapy und Mitherausgeber von The Psychology of Black Boys and Adolescents (2014).