
Abwesenheit.
Im September 2022 scheine ich Abwesenheit zum ersten Mal wirklich empfunden zu haben. Ich kam in das Universitätsinstitut, an dem ich mehr als zwanzig Jahre lang gearbeitet habe, und statt meiner Freunde und Kollegen traf ich auf Lücken. Der Raum um mich herum erschien erodiert. Es erinnerte mich an Stephen Kings Die Langoliers. Ich spürte mit allen Sinnen Abwesenheit, Lücken in Raum und Zeit. Plötzlich waren meine lieben Freunde verschwunden. Es war nicht die Abwesenheit des Sprachvermögens von Menschen. Es war keine Derrida’sche Abwesenheit, das, was durch die Metaphysik der Gegenwart verdrängt wird. Es war nicht die Negativität der Psychoanalyse in der Epoche des wilden Positivismus. Es war kein Lacan’scher Mangel, der es erlaubt zu atmen. Nein. Es war Schmerz und Verzweiflung angesichts der unheimlichen, unerträglichen Abwesenheit, als hätte ein hilfloses Kind die Hoffnung auf die Rückkehr der Mutter verloren.
Dr. Viktor Mazin, Ph.D., ist praktizierender Psychoanalytiker. Der Gründer des Freud's Dream Museum in St. Petersburg (1999) ist Ehrenmitglied des Museum of Jurassic Technology (Los Angeles) sowie Leiter der Abteilung für theoretische Psychoanalyse am Osteuropäischen Institut für Psychoanalyse (St. Petersburg), außerordentlicher Professor an der Fakultät für freie Künste und Wissenschaften der Staatlichen Universität St. Petersburg und Ehrenprofessor des Instituts für Tiefenpsychologie (Kiew). Außerdem ist er als Übersetzer aus dem Englischen und Französischen ins Russische tätig und war Chefredakteur der Zeitschrift Kabinet und Mitglied der Redaktionsausschüsse folgender Fachzeitschriften: Psychoanalysis (Kiew), European Journal of Psychoanalysis (Rom), Transmission (Sheffield), Journal for Lacanian Studies (London). Er hat zahlreiche Artikel und Bücher über Psychoanalyse, Dekonstruktion, Kino und bildende Kunst verfasst.