Absence
Abwesenheit: allein das Wort lässt an einen leeren Raum denken, aus dem eine geliebte Gegenwart – ein empfindungsfähiger anderer, eine Mutter, ein Bruder, eine Geliebte – verschwunden ist. Doch das Subjekt ist da, um das Verschwinden, den Verlust zu empfinden. Das bringt eine neue Verletzlichkeit mit sich, ein Schrumpfen. Im Gefolge von Pandemie und Kriegen oder, bei den Älteren unter uns, von jedem vergehenden Tag ist die äußerste Abwesenheit des Todes eine greifbare Tatsache des täglichen Lebens. Sie ist eine der Hauptkomponenten unserer inneren Landschaft, wird manchmal leicht in die Erinnerung verdrängt oder in Träumen erlebt, oder in einer kaum bewussten Atmosphäre des Wartens.
Freud befasst sich damit zum ersten Mal in seinem Jenseits des Lustprinzips, das er nach dem Ersten Weltkrieg in Angriff nahm. Nach einem Abschnitt über traumatische Neurosen leitet er zu einem Spiel über, das ein eineinhalbjähriges Kleinkind erfunden hat und wiederholt spielt. (Der Junge ist sein Enkel, der Sohn seiner Tochter Sophie, die bald selbst der Grippeepidemie zum Opfer fallen sollte.) In Reaktion darauf, dass seine Mutter fortgeht, wie es alle Betreuungspersonen irgendwann müssen, erfindet der kleine Junge das Fort-Da-Spiel: Er wirft eine Holzspule, die an einen Bindfaden geknüpft ist, aus seinem Bettchen, sodass sie abwesend ist, wobei er bei ihrem Verschwinden ausdrucksvoll o-o-o-o bzw. „fort“ sagt. Beim Zurückholen der Spule ruft er freudig „da“! Dadurch, und durch die Wiederholung, bewältigt er die schmerzliche Erfahrung der Abwesenheit seiner Mutter und überwindet seine eigene Passivität.
Dieser Wiederholungszwang führt Freud zu einer Betrachtung des Todestriebs. Abwesenheit ist zwangsläufig mit unserer eigenen Abwesenheit verbunden. Wir brauchen andere, und manchmal die kunstvollen Spiele, die wir erfinden, um mit der unausweichlichen Abwesenheit zurechtzukommen.
Daran lässt mich dieses frühe Gemälde des in Berlin lebenden Künstlers Mathias Schauwecker denken. Der Raum ist dunkel und leer, der Tisch ungesellig. Doch in der Ferne ist ein Licht und das Versprechen eines Paris voller Menschen.
Lisa Appignanesi OBE (britischer Verdienstorden) ist eine preisgekrönte Schriftstellerin, Romanautorin und Kulturkommentatorin. Sie war Präsidentin des English PEN, Vorsitzende des Freud Museum London und bis 2020 Vorsitzende der Royal Society of Literature, deren Vizepräsidentin sie jetzt ist. Außerdem ist sie Gastprofessorin am King's College London. Zu ihren nichtfiktionalen Publikationen gehören u.a. Everyday Madness: On Grief, Anger, Loss and Love (2018), Trials of Passion: Crimes in the Name of Love and Madness (2014), All About Love: Anatomy of an Unruly Emotion (2011), das preisgekrönte Mad Bad and Sad: A History of Women and the Mind Doctors from 1800 (2008); Freud's Women (1992/2005, mit John Forrester) und ein biografisches Porträt von Simone de Beauvoir (2005). Sie ist außerdem Autorin der von der Kritik gelobten Familienerinnerungen Losing the Dead (1999) und von neun Romanen, darunter The Memory Man (2004, ausgezeichnet mit dem Holocaust Fiction Prize) und Paris Requiem (2001/2014).