Absence/Abwesenheit
Das englische „absence” wäre wörtlich übersetzt ein Mangel an Sinn, im Deutschen ist Abwesenheit wiederum ein Mangel an Wesenheit, also Sein. Und tatsächlich schwebt Abwesenheit zwischen diesen beiden Konnotationen, da es häufig unmöglich ist, in einer Abwesenheit einen Sinn zu finden und das eigene Seinsgefühl in einer tiefen Erfahrung von Abwesenheit in Gefahr kommen kann. Abwesenheit hält sich in den Lücken, den Brüchen, den Schweigen und Schatten unseres Lebens, ihr Erleben ist nicht mit dem akuten Schmerz eines Menschen beim Verlust eines Objekts zu verwechseln. Freud sprach das an, als er bekanntlich in Trauer und Melancholie (1915/1917) schrieb: „Der Schatten des Ich fiel so auf das Objekt.“ In den dunkeln Strahlen, der Zwischenwelt zwischen dem Ich und seinen verlorenen Objekten, findet die Abwesenheit ihren Platz und wirft ihre Schatten.
Sam Gerson (2018) erfasst diese Unterscheidung am treffendsten, wenn er schreibt: „die Suche für die Shoah-Künstler der zweiten und dritten Generation war nicht mehr so sehr auf Gedenken und die Aufzeichnung der Vergangenheit ausgerichtet, sondern auf die Notwendigkeit, etwas zu erschaffen wo nichts gewesen war: eine Lücke, eine Leerstelle inmitten der Psyche. Statt eines überlieferten Verlusts wurde nun Abwesenheit vermittelt … Abwesenheiten schaffen eine nicht enden wollende Notwendigkeit, sich mit unrepräsentierter Erfahrung und Empfindsamkeit auseinanderzusetzen.“ (S. 18). Wenn Abwesenheit nicht als Verlust symbolisiert werden kann, läuft sie Gefahr, eine endlose und fortdauernde Tragödie zu bleiben.
Jeanne Wolff Bernstein, Ph.D., ist ehemalige Präsidentin, Supervisorin und Analytikerin am Psychoanalytic Institute of Northern California (PINC), San Francisco. Sie ist Mitglied des Lehrkörpers des PINC und des NYU Post-Doctoral Program for Psychoanalysis and Psychotherapy. Sie war 2008 Fulbright-Freud Visiting Lecturer of Psychoanalysis am Sigmund Freud Museum in Wien. Sie ist Mitglied und Vorstandsmitglied des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse und arbeitet heute als Psychoanalytikerin in Wien. Sie hat zahlreiche Artikel zu den Schnittstellen zwischen Psychoanalyse, bildender Kunst und Film veröffentlicht. Derzeit arbeitet sie an ihrem Buch über Edouard Manet, Enframing The Gaze.