Organisierte Flucht – Weiterleben im Exil. Wiener Psychoanalyse 1938 und danach
Wien, März 1938. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland gehen massive Repressalien und gezielte Angriffe auf Existenz und Eigentum jüdischer Bürger:innen einher. Die erste Fluchtwelle wird durch die Schließung der Grenzen rasch gestoppt. Die Ausreise ist nur unter restriktiven Bedingungen möglich: Verordnungen wie „Judenvermögensabgabe“ und „Reichsfluchtsteuer“ legitimieren von nun an den Raub des Vermögens jener, die es sich leisten können zu fliehen.
38 in Wien lebende Mitglieder sowie rund 30 Kandidat:innen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) sind von der antisemitischen „reichsdeutschen“ Gesetzgebung betroffen. Sie alle müssen Wien verlassen, um ihr Leben zu retten. Dank des umfassenden Engagements, das die internationalen psychoanalytischen Kolleg:innen in London, Paris und New York, aber auch in Wien selbst, an den Tag legen – gelingt die Flucht. In enger Rücksprache mit Anna Freud orchestriert insbesondere der britische Psychoanalytiker Ernest Jones von London aus die durchdacht und engmaschig angelegte Rettungsaktion. Die Bandbreite der Unterstützungsmaßnahmen ist groß: Wohnungen zum Unterschlupf werden zur Verfügung gestellt, Bürgschaften aufgestellt, Wertgegenstände ins Ausland gebracht, Visa organisiert, Gelder gesammelt.
Bis zum Frühjahr 1939 haben alle bedrohten Wiener Psychoanalytiker:innen und Kandidat:innen Wien verlassen. Überwiegend finden sie Aufnahme in den USA. Auch das (berufliche) Weiterleben im Exil wird sorgfältig geplant: Wie viele zusätzliche Psychoanalytiker:innen verträgt London, wie viele eine Stadt wie Manchester? Was müssen die Wiener Kolleg:innen für die Ausübung der Psychoanalyse in den Staaten wissen, wo sind Laienanalytiker:innen (ohne medizinischen Abschluss) zugelassen? Tatsächlich gelingt es im Exil vielen, ihre berufliche Erfüllung zu finden und mitunter auch Karriere zu machen.
Anhand ausgewählter Biografien sowie zahlreicher Bild- und Schriftdokumente wird hier die einzigartige Geschichte der kollektiven Flucht der Wiener Psychoanalytiker:innen geschildert. Den Ausgangs- und Angelpunkt der Präsentation bildet eine 20-seitige Liste, die Ernest Jones gemeinsam mit Anna Freud führte, um den jeweiligen Status der Flüchtenden zentral erfassen und bearbeiten zu können.
Die Ausstellung wurde kuratiert von:
Daniela Finzi und Monika Pessler (Sigmund Freud Museum) in Kooperation mit der Arbeitsgruppe zur Geschichte der Psychoanalyse: Thomas Aichhorn, Georg Augusta, Eva Kohout, Roman Krivanek, Nadja Pakesch, Alix Paulus und Katharina Seifert (WPV und WAP)
Unterstützt von:
Stadt Wien – MA 7
Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Botstiber Institute for Austrian-American Studies
Zukunftsfonds der Republik Österreich
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse
International Psychoanalytical Association
August Ruhs
Freund:innen des Sigmund Freud Museums
American Friends of the Sigmund Freud Museum
Leihgeber:innen:
Archiv Thomas Aichhorn
Esther Freud
Dokumente zur Verfügung gestellt durch:
Austen Riggs Center
Boston Psychoanalytic Society and Institute Archives
Archives of the British Psychoanalytical Society
Columbia University Libraries
Freud Museum London
KHM Museumsverband
Library of Congress, Washington D.C.
The National Archives, Kew
New York Psychoanalytic Society and Institute
The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, Inc.
The U.S. National Archives and Records Administration
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Wiener Stadt- und Landesarchiv