In memoriam

Allen in Wien ansässigen WPV-Mitgliedern gelingt es, nach dem »Anschluss« das Land zu verlassen. Von der sicheren Ferne aus müssen sie – die Überlebenden – in der Shoa ermordete Familienmitglieder und Freund:innen betrauern.


Vier WPV-Mitglieder jedoch verlieren in den Kriegsjahren ihr Leben: Rosa Walk, die aus Wien nach Paris emigriert, und Ernst Paul Hoffmann, der zum Zeitpunkt des »Anschlusses« in Antwerpen weilt, Otto Brief aus Prag und Nikola Sugar aus Subotica. Sie werden interniert und ermordet oder sterben an den Folgen der Verschleppung.

Ernst Paul Hoffmann

Ernst Paul Hoffmann wird am 23. Jänner 1891 in Radautz/ Rădăuți im heutigen Rumänien geboren. Nach der Reifeprüfung 1909 inskribiert er an der Medizinischen Fakultät in Wien. 1914 schließt er sein Medizinstudium ab, 1922 beginnt er eine Lehranalyse bei Paul Federn, 1926 wird er außerordentliches Mitglied der WPV. Anfang März 1938 hält Hoffmann sich in Antwerpen auf. Vom Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich überrascht, sucht er um politisches Asyl in Belgien an.

Am 15. Juli folgen ihm seine Frau und sein Sohn nach; im November 1938 übersiedeln sie nach Brüssel. Hoffmann nimmt Kontakt mit Bettina Warburg vom Emergency Committee auf, doch bevor seine Bemühungen Erfolg haben, überfallen am 10. Mai 1940 deutsche Truppen Belgien. Bereits im April, nach dem Überfall der Deutschen auf Norwegen, legt die belgische Regierung Listen von »Verdächtigen« – vor allem ausländische Emigrant:innen – an, die ohne jegliche legale Grundlage im Falle des Angriffes
auf Belgien verhaftet werden sollen. Bei Hoffmann erfolgt die Festnahme während einer Analysestunde in Brüssel.

In den nachfolgenden Jahren ist Hoffmann in verschiedenen französischen Lagern interniert: vom 14. bis zum 29. Mai 1940 in Le Vigeant, vom 30. Mai bis zum 30. Oktober 1940 in Saint-Cyprien, vom 31. Oktober 1940 bis zum 9. März 1941 in Gurs und vom 10. März 1941 bis zum 19. Mai 1942 in Les Milles. An einer chronischen Magenerkrankung leidend, befindet er sich in den Internierungslagern – ohne Diät und Medikamente – in unmittelbarer Lebensgefahr. 1942 bekommt Hoffmann Urlaub vom Lager für konsularische Angelegenheiten sowie für eine Leistenbruch-Operation. Seine Hoffnung, dass seine Frau und sein Sohn zu ihm nach Marseille kommen würden, erfüllt sich nicht. Nach Ablauf seines Urlaubs bleibt ihm als einziger Ausweg die Flucht in die Schweiz, wo er am 27. September 1942 von der Schweizer Grenzpolizei festgenommen wird.


Hoffmann wird kurze Zeit in einem Internierungslager in Aigle im Kanton Waadt festgehalten. Wegen schwerer Depressionen wird er in einer Klinik untergebracht, wo er auch als Lehrer und Supervisor arbeitet. Am 23. Dezember stirbt 1944 Ernst Paul Hoffmann in einem Basler Spital an den Folgen einer Zwölffingerdarmgeschwür-Operation, ohne seine Frau und seinen Sohn wiedergesehen zu haben.

Nikola Sugar

Nikola Sugar wird am 25. August 1897 in Subotica in der Vojvodina, damals zur ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie gehörig, geboren. Er studiert
Medizin in Budapest, nach der Promotion 1923 geht er für die Facharzt-Ausbildung in Neurologie nach Berlin und beginnt eine Lehranalyse bei Felix Boehm. Ab 1925 lebt er in Wien, um die psychoanalytische Ausbildung abzuschließen. Er arbeitet an der Neurologisch-Psychiatrischen Universitätsklinik unter Paul Schilder und wird Mitglied der WPV.


1926 geht er nach Subotica zurück und eröffnet als erster Psychiater in der Stadt und erster Psychoanalytiker in der Vojvodina eine Privatpraxis. 1937 zieht er nach Belgrad und zählt zu den Gründungsmitgliedern der Psychoanalytischen Vereinigung Serbiens.

Nach dem deutschen Angriff auf das Königreich Jugoslawien im April 1941 kehrt Sugar neuerlich nach Subotica zurück, das von ungarischen Truppen besetzt ist. Ab Beginn der Besatzung wird die jüdische Bevölkerung festgenommen und in improvisierte Ghettos gezwungen. Ab April 1944 werden die ungarischen Jüdinnen und Juden nach Auschwitz-Birkenau deportiert; ein Teil davon wird zur Zwangsarbeit in umliegende Gebiete unter deutscher Besatzung gebracht. Sugar wird zunächst ins südungarische Szeged deportiert, von dort schließlich ins niederösterreichische Groß-Siegharts. Hier ist zwischen Juli 1944 und März 1945 ein Zwangsarbeitslager für etwa 250 Jüdinnen und Juden eingerichtet. Die Häftlinge müssen Erdarbeiten ausführen oder für die Siemens-Schuckertwerke arbeiten. Sugar ist als Arzt für eine landwirtschaftliche Arbeitsgruppe tätig, auch organisiert er Russisch-Kurse. Als »Rebellenelement« wird er Mitte September 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert, wo er im Lazarett arbeitet. Im April 1944 wird er in das KZ Theresienstadt gebracht, gemeinsam mit 6.800 anderen Häftlingen aus Bergen-Belsen.


Die Umstände des Todes von Nikola Sugar bleiben ungeklärt. Als offizielles Todesdatum wird der 15. Mai 1945 – nach Ende des Zweiten Weltkrieges – angegeben.

Otto Brief

Otto Brief wird am 31. Dezember 1891 im mährischen Znorow/Vnorovy, heutiges Tschechien, geboren. Ab 1911 ist er in Wien als Student der Medizin gemeldet; am 5. März 1928 wird der Umzug nach Olmütz registriert. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie, einer Kindergartenpädagogin, zählt er zu den Mitbegründer:innen der Prager Arbeitsgruppe der WPV, die u.a. von Steff Bornstein-Windholzova und Anni Reich geleitet wurde. 1935 stieß Otto Fenichel aus Oslo kommend dazu.

Am 26. Mai 1939 wird Brief in Prag von der Gestapo verhaftet: »Grund der Verhaftung: kommunistische Einstellung. Schutzhaft angeordnet von der Staatspolizei Prag am 26. Mai 1939.« Nach einigen Monaten der Haft in Prag wird Brief am 4. Dezember 1939 nach Hof in Bayern verlegt, wo er die Häftlingsnummer 2423 erhält. Jetzt heißt es: »Schutzhaft, politisch, Jude.« Nur drei Tage später wird er in das KZ Sachsenhausen überstellt, wo er ihm die Häftlingsnummer 14892/10151 zugeteilt wird. Zehn Monate später, am 5. September 1940, wird er ins KZ Dachau verlegt, Häftlingsnummer 17847. Am 12. Juli 1941 wird Brief erneut umquartiert, diesmal ins KZ Buchenwald, Häftlingsnummer 8680. Schließlich wird er am 19. Oktober 1941 ins KZ Auschwitz deportiert, Häftlingsnummer 68378. Hier stirbt er im Dezember 1942. Seine Todesursache ist nicht bekannt.

Die Verlegungen lassen sich vermutlich auf die Bemühungen der internationalen psychoanalytischen Community, Brief aus dem KZ zu befreien, zurückführen. Eine beträchtliche Summe von 1.700 US-Dollar (heute etwa 30.000 Euro) wird dafür aufgebracht, u. a. von den Psychoanalytikern Hanns Sachs und Max Eitingon. Die NS- Behörden halten entsprechende Zusagen jedoch nicht ein.


Anlässlich von Briefs Verlegung ins KZ Sachsenhausen schickt die KZ-Verwaltung die Kleidung von Otto Brief an seine Frau, um den Eindruck zu erwecken, er sei bereits tot.
Erst später wird eingeräumt, dass er noch am Leben war.

Rosa Walk

Rosa Walk wird am 30. April 1893 in der damals zu Ungarn gehörenden Stadt Marmaroschsiget/Sighetu Marmației im heutigen Rumänien geboren. Nach der Reifeprüfung
an einem Budapester Mädchengymnasium im Dezember 1919 beginnt sie ein Medizinstudium in Frankfurt am Main. Sie geht 1924 nach Wien, wo sie 1928 promoviert. Im selben Jahr bewirbt sie sich um eine Gratislehranalyse bei der WPV. 1933 wird sie außerordentliches Mitglied der WPV und eröffnet eine psychoanalytische Privatpraxis.


Am 17. Juni 1938 erfolgt die Abmeldung beim Wiener Meldeamt. Am 20. Juni nimmt Walk an einer Sitzung der Société Psychanalytique de Paris teil. Im Rahmen der darauffolgenden Geschäftssitzung beantragt sie, in die Pariser Vereinigung aufgenommen zu werden. Anfang Herbst 1939 werden sowohl ex-österreichische als auch deutsche Staatsangehörige von den französischen Behörden als »ressortissants ennemis« – als feindliche Ausländer:innen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen – eingestuft und 1939 und 1940 interniert. Im Sommer 1940 wird die deutschsprachige Migration in Frankreich schließlich endgültig vom Nationalsozialismus eingeholt. Für etwas mehr als 2.500 Menschen aus dem vormaligen Österreich erweist sich das als sicher geglaubte Exilland Frankreich als Sackgasse, die direkt in den Konzentrations- und Vernichtungslagern des Nationalsozialismus endet.


Es scheint Walk mit der Unterstützung Marie Bonapartes zunächst gelungen zu sein, der Internierung zu entgehen. 1942 jedoch wird sie von der Gestapo – wahrscheinlich in Südfrankreich – verhaftet. Die Umstände ihres Todes sind nicht eindeutig geklärt. Einerseits wurde behauptet, sie hätte nach ihrer Verhaftung Selbstmord begangen, andererseits steht ihr Namen auf einer Deportationsliste. Demnach wurde sie mit dem Konvoi Nr. 27 von Drancy am 2. September 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.