Wiedereröffnung der WPV und Rückkehr nach Wien

Das Wien der Nachkriegszeit gleicht nicht der Stadt vor dem Erstarken der totalitären Strukturen, gleicht nicht dem Bild der Erinnerung. Hunger und Not, bauliche und infrastrukturelle Schäden, weiterhin spürbarer Antisemitismus – die allgemeine Lage nach Kriegsende ist entmutigend. Gelingt auch eine rasche Wiederherstellung demokratischer Strukturen, bleibt eine kollektive Auseinandersetzung oder Verarbeitung der NS-Vergangenheit noch jahrzehntelang aus; komplizierte Beantragungsprozedere und langwierige Restitutionsverfahren schrecken zudem viele Opfer davon ab, Wiedergutmachungsforderungen zu stellen.


Von den ehemaligen WPV-Mitgliedern und Kandidat:innen kehren 1946 lediglich Walter Hollitscher aus London, Otto Fleischmann aus Budapest und Robert Hans Jokl aus Frankreich zurück. Letzterer kann sich in Wien nicht mehr einleben, er emigriert 1947 in die Staaten. Im März 1944, noch vor der geplanten Remigration, stirbt Josef Karl Friedjung in Haifa.


Im April 1946 wird die WPV unter der Leitung von August Aichhorn (Obmann) und Alfred von Winterstein (stellvertretender Obmann) – beide niemals NSDAP-Mitglieder – feierlich wiedereröffnet und von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) anerkannt. Die emigrierten WPV-Mitglieder schicken Glückwunschschreiben – aus der Ferne.

„Die alte und berühmte Wiener Gruppe wieder zu beleben ist eine edle Aufgabe und ich wünsche Ihnen den besten Erfolg.“

Ernest Jones an August Aichhorn, 1946

Walter Hollitscher

Walter Hollitscher wird am 16. Mai 1911 in eine großbürgerliche Familie in Wien geboren und evangelisch getauft. Nach der Trennung der Eltern zieht er mit seinem Vater nach Prag. Bereits als Mittelschüler schließt er sich der kommunistischen Bewegung an. 1929 geht er nach Wien und wird Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). An der Universität Wien studiert er zunächst Medizin, dann Philosophie, und promoviert 1934 bei Moritz Schlick über das Kausalprinzip in der Quantenphysik. Um als Kandidat in der WPV aufgenommen zu werden, verspricht er 1936 in einem Brief an Anna Freud, sich »während der Zeit (s)einer analytischen Ausbildung jeder von den Gesetzen verbotenen politischen Tätigkeiten (zu) enthalten«. Bereits 1935, nach den Verhaftungen von WPV-Mitglied Edith Buxbaum und der Kandidatin Marie Langer, war vom Lehrausschuss das Verbot für Kandidat:innen, sich neben der Ausbildung im politischen Widerstand zu engagieren, erlassen worden.

Hollitscher beginnt seine Lehranalyse bei Grete Bibring-Lehner und Willi Hoffer, auch das Medizinstudium nimmt er wieder auf. Bereits am 18. März 1938 kann er aus Wien indie Schweiz ausreisen; dort erhält er ein befristetes Visum  für Großbritannien. In London setzt er sein Medizinstudium und an der British Psychoanalytical Society (BPS) seine psychoanalytische Ausbildung fort. Auch engagiert sich der überzeugte Kommunist im Austrian Centre London. 1939 als Selbsthilfeorganisation gegründet, entwickelt es sich zu einer politisch und sozial engagierten Institution für jüdische und anderweitig politisch verfolgte Exil-Österreicher:innen.

1946 kehrt Hollitscher nach Wien zurück. Als Vertreter der BPS nimmt er bei der Feier zur Wiedereröffnung der WPV teil und beteiligt sich an deren ersten Geschäftssitzungen, ehe er 1948 aus der WPV austritt. Der Psychoanalyse, die er als Ausprägungsform der bürgerlichen Ideologie, als unwissenschaftlich, spekulativ und geschichtslos kritisiert, kann er nichts mehr abgewinnen.

In den folgenden Jahrzehnten lebt und arbeitet er sowohl in der DDR als auch in Wien, wo er von 1965 bis 1977 Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ ist. Als Wissenschaftler und Autor äußerst produktiv, verfasst Hollitscher rund 30 Bücher zu naturwissenschaftlichen, philosophischen und psychologischen Themen aus marxistischer Perspektive.


Am 6. Juli 1986 stirbt Walter Hollitscher in Wien.

Kondolenzschreiben von Walter Hollitscher vom 25. September 1939 an Anna Freud: „Sehr verehrtes Fr. Freud! / Ich möchte Ihnen schreiben wie tief der Tod Ihres Vaters auch mich /berührt hat. Er war mir die einzige große Autorität; seitdem er zu leben aufgehört hat, ist mir die Welt um Vieles anders geworden. […] / Ihr, sehr ergebener, / Walter Hollitscher“.

Freud Museum London

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