Ein Komitee für den absoluten Notfall

Am 13. März 1938 – nur einen Tag nach dem „Anschluss“ – setzt die American Psychoanalytic Association (APsaA) ein „Emergency Committee on Relief and Immigration“ ein, geleitet vom in New York praktizierenden Psychoanalytiker Lawrence S. Kubie und der Psychiaterin Bettina Warburg. Mit dem Ziel, die europäischen Psychoanalytiker:innen bei der Einreise in die USA bestmöglich zu unterstützen und Regelungen für deren berufliche Eingliederung zu erarbeiten, steht das Emergency Committee in engem Austausch mit Ernest Jones und seinem Londoner Kollegen Edward Glover. Während Kubie vorrangig mit internationalen Angelegenheiten, der Kontaktpflege mit den Botschaften und der Beschaffung von Visa befasst ist, steht Warburg den Ankommenden als Ansprechperson in allen möglichen Belangen zur Verfügung und kümmert sich um die Vermittlung von Stellenangeboten. Eine von Bertram D. Lewin geleitete Stiftung unterstützt einzelne Immigrant:innen mit Förderungen, Darlehen oder Stipendien.

Ein Memorandum für die europäischen Psychoanalytiker:innen schildert die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Vereinigten Staaten sowie in den einzelnen Bundesstaaten: das „Bulletin of Information to Be Supplied Only to Psychoanalysts Who Desire to Emigrate to the U.S.A.“. Ein zentrales Thema darin ist die medizinische Zulassung als Voraussetzung, um psychoanalytisch tätig zu sein.

Heinz Hartmann

Heinz Hartmann wird am 4. November 1894 konfessionslos in Wien geboren und studiert Medizin in Wien. Anschließend arbeitet er als Assistenzarzt an Julius Wagner-Jaureggs Neurologisch-Psychiatrischer Universitätsklinik. 1925 wird er außerordentliches und 1927 ordentliches Mitglied der WPV.


Seine Frau Dora, die ihre psychoanalytische Ausbildung in den Staaten abschließen wird, ist Jüdin, womit der Entschluss für die Hartmanns feststeht: »I wouldn’t have lived in a country where she and the children would be looked down upon«, so Hartmann 1963 in einem Interview. Auf Einladung von Marie Bonaparte können beide am 19. Mai 1938 nach Paris ausreisen, wo Hartmann Mitglied und Lehranalytiker der Société Psychanalytique de Paris wird. Aufbauend auf seinen Wiener Arbeiten publiziert Hartmann 1939 den Aufsatz »Ich-Psychologie und Anpassungsproblem«. – Heute gilt er gemeinsam mit Ernst Kris und Rudolph M. Loewenstein, mit denen Hartmann später in New York eng zusammenarbeitet, als Begründer der Ich-Psychologie. Bis in die 1960er-Jahre, als sich die sogenannte Selbstpsychologie durchzusetzen beginnt, dominiert die Ich-Psychologie weltweit die Psychoanalyse.


Angesichts der zunehmenden Verschlechterung der Lage in Frankreich geht Hartmann, von Geburt an Inhaber eines Schweizer Passes, im September 1939 mit seiner Familie nach Genf und Lausanne. Sie bewerben sich um Visa für die Einreise in die USA, wo sie am 14. Jänner 1941 mit dem Dampfschiff Excalibur ankommen. In New York treffen sie auf viele ihrer Kolleg:innen, die mittlerweile von Großbritannien aus in die Staaten eingereist sind. Das Emergency Committee richtet den »Hartmann Scholarship Fund« ein, als Entgelt für seine Lehrtätigkeit an der Bank Street School.


Hartmann etabliert sich in New York als Lehranalytiker der New York Psychoanalytic Society, wo er – ebenso wie innerhalb der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) – führende Positionen bekleidet. Mit Anna Freud in London sowie Ernst Kris in New York zählt er zu den Chefredakteur:innen der Zeitschrift The Psychoanalytic Study of the Child. Gemeinsam mit Willi Hoffer wird es dieser Gruppe – trotz räumlicher Separierung – gelingen, freudianische Strategien fort- und durchzusetzen.


Am 17. Mai 1970 stirbt Hartmann in New York.

Brief von Heinz Hartmann an Ernst Kris vom 10. August 1940, in dem er Fragen zu den Voraussetzungen und erforderlichen Dokumenten für eine Einreise in die Staaten via Kanada stellt: „All dies zu wissen ist mir sehr dringend.“ Papers of Ernst Kris, Library of Congress, Washington D.C.

Meldezettel

Die Schiffsmanifeste von Ellis Island

Jedes Manifest besteht aus zwei Seiten mit insgesamt 37 Feldern für verschiedenste Angaben. Die linke Seite enthält zentrale Daten wie Namen, Alter, Geschlecht, Familienstand (Felder 1-6) oder Geburtsort (Feld 11) und letzter Aufenthaltsort (Feld 15), aber auch Auskünfte über Lese-, Sprach- und Schreibkenntnisse (Feld 8). Die rechte Seite enthält tiefergehende Informationen über die Einreisenden: Neben der geplanten Aufenthaltsdauer (Feld 24) und Zieldestination musste der/die nächste Verwandte oder Freund:in im Herkunftsland angegeben werden (Feld 17-18), wer für die Überfahrt bezahlt halt und ob die einreisende Person 50 $ oder weniger besitzt (Felder 20-21). Auch wurde die Einstellung zu Anarchie und Polygamie abgefragt, etwaige Pläne, die Regierung zu stürzen mussten ebenfalls angegeben werden (Felder 26-28). Weiters wurden Größe, Gewicht, Haut- und Haarfarbe sowie der körperliche und mentale Gesundheitszustand (Feld 32-36) vermerkt. Quelle: The Statue of Liberty – Ellis Island Foundation