Briefe und Listen: Ernest Jones und Anna Freud

Ab 1933 korrespondieren Anna Freud und ihr britischer Kollege Ernest Jones über die bestmögliche Hilfestellung für im »Deutschen Reich« bedrohte Psychoanalytiker:innen. Jones, zum damaligen Zeitpunkt Präsident der British Psychoanalytic Society (BPS) sowie ab 1934 der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV), verfügt über beste Kontakte zu den verschiedenen Botschaften in London und zum britischen Innen- und Außenministerium. Er beobachtet die Ereignisse in Deutschland und Österreich, in Paris, Italien, Südafrika und in den USA.


Mit dem »Anschluss« Österreichs wird der Fokus auf die Rettung der WPV-Mitglieder gelegt. Anna Freud hält Jones über die Dokumentenlage, Finanzielles und berufliche Qualifikationen der einzelnen Kolleg:innen auf dem Laufenden. Jones wiederum organisiert finanzielle Unterstützung sowie Arbeitsstellen samt der dazu nötigen (länderspezifischen) Bewilligungen.


Insbesondere die 20-seitige Liste aus dem Archiv der BPS vermittelt einen Eindruck von den unermüdlichen Bemühungen von Ernest Jones und Anna Freud, die bedrohten Kolleg:innen zu retten. Das Schriftstück enthält 90 Namen von WPV-Mitgliedern und Kandidat:innen, die 1938 vorwiegend in Wien leben, manche von ihnen auch außerhalb Österreichs, sowie weitreichende Informationen hinsichtlich Visa, Finanzen, Adressen etc.

„Unsere heutige Zusammenkunft steht unter dem Eindruck eines neuerlichen fürchterlichen Schlages, den die Psychoanalyse erlitten hat, das ist die Auflösung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. … Dass von allen Stätten der Welt gerade in Wien keine Psychoanalyse mehr betrieben werden soll, ist ein Gedanke, der einem den Atem raubt.“

Ernest Jones, 1.8.1938

Eine weitere Liste aus dem Londoner Archiv listet die Namen von insgesamt 38 in Wien lebenden WPV-Mitgliedern sowie einigen weiteren Personen. Handschriftliche Ergänzungen neben den Namen betreffen insbesondere medizinische Spezialisierungen. Quelle: The British Psychoanalytical Society Archive, London

Otto Isakower

Otto Isakower kommt am 2. Juni 1899 als Sohn einer Wiener jüdischen Familie zur Welt. Nach Abschluss des Medizinstudiums 1923 arbeitet er am Allgemeinen Krankenhaus in Wien und lässt sich zum Psychiater ausbilden. 1925 beginnt er eine Lehranalyse bei Paul Federn und wird außerordentliches Mitglied der WPV, 1928 dann ordentliches Mitglied.


Im Frühjahr 1938 heiratet er die Psychoanalytikerin Salomea Gutmann – damit benötigen die beiden WPV-Mitglieder nur noch ein Bürgschaftsdokument anstatt zwei. Im Briefwechsel zwischen Anna Freud und Ernest Jones, der 220 Briefe rund um die Emigration und die beruflichen Perspektiven der WPV-Mitglieder umfasst, kommt diese Thematik zum Ausdruck: »2 Analytiker halten sich doch leichter irgendwo als einer. Hattest du an eine bestimmte Stadt für ihn gedacht? Käme eventuell für diese beiden
Liverpool in Betracht?«, so Anna Freud an Jones am 28. April 1938. Brieflich bittet Isakower im Mai 1938 Ernest Jones um Hilfe bei seinem Antrag an das britische Innenministerium um Zulassung als Mediziner in Großbritannien. Jones stellt auch einen Kredit von 200 Pfund für die Begleichung damit einhergehender Kosten auf.


Ende Juni 1938 kann das Ehepaar nach Großbritannien ausreisen. Otto und Salomea lassen sich in Liverpool nieder und werden Mitglieder der British Psychoanalytic Society (BPS). Gemeinsam mit zwei weiteren aus Budapest und Berlin emigrierten Analytikern leiten sie eine psychoanalytische Arbeitsgruppe, die im März 1940 vom Lehrausschuss der BPS als »North of England«-Ausbildungsgruppe anerkannt wird. Die berufliche Situation bleibt jedoch herausfordernd, die Gefahr einer Internierung als »enemy aliens« für Emigrant:innen aus Deutschland und Österreich virulent. Die Isakowers entscheiden daher, sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen. Nach einer ersten Einreise Isakowers am 1. November 1938 kommen die Eheleute am 4. Mai 1940 in New York an und werden in der Folge Mitglieder der New York Psychoanalytic Society. In den 1950er- und 1960er-Jahren ist Isakower in zentralen Funktionen tätig. Auch nach der Emigration gilt sein wissenschaftliches Interesse dem Traum und der Traumarbeit; das nach ihm benannte »Isakower-Phänomen« beschreibt regressive Empfindungen beim Einschlafen.


Bis kurz vor seinem Tod am 10. Mai 1972 in New York bleibt Otto Isakower beruflich aktiv.

Die Schiffsmanifeste von Ellis Island

Jedes Manifest besteht aus zwei Seiten mit insgesamt 37 Feldern für verschiedenste Angaben. Die linke Seite enthält zentrale Daten wie Namen, Alter, Geschlecht, Familienstand (Felder 1-6) oder Geburtsort (Feld 11) und letzter Aufenthaltsort (Feld 15), aber auch Auskünfte über Lese-, Sprach- und Schreibkenntnisse (Feld 8). Die rechte Seite enthält tiefergehende Informationen über die Einreisenden: Neben der geplanten Aufenthaltsdauer (Feld 24) und Zieldestination musste der/die nächste Verwandte oder Freund:in im Herkunftsland angegeben werden (Feld 17-18), wer für die Überfahrt bezahlt halt und ob die einreisende Person 50 $ oder weniger besitzt (Felder 20-21). Auch wurde die Einstellung zu Anarchie und Polygamie abgefragt, etwaige Pläne, die Regierung zu stürzen mussten ebenfalls angegeben werden (Felder 26-28). Weiters wurden Größe, Gewicht, Haut- und Haarfarbe sowie der körperliche und mentale Gesundheitszustand (Feld 32-36) vermerkt. Quelle: The Statue of Liberty – Ellis Island Foundation