Ein Buch mit fünf Blättern

«Wir sind wie ein Buch. Alexander und ich sind die Deckel, Anna, Rosa, Mitzi, Pauli, Dolfi sind die fünf Blätter», sagt der 11-jährige Freud über seine Geschwister. Unüblicher Weise erhalten auch die Töchter eine Ausbildung: Anna ist eine der ersten jüdischen Lehrerinnen Wiens, Rosa Direktorin einer Privatlehranstalt für Kunststickerei, Marie («Mitzi») erlernt Buchhaltung, Pauline («Pauli») ist ebenfalls Kunststickerin, Adolfine («Dolfi») übernimmt die Betreuung der Eltern. Alexander erlangt als Eisenbahnexperte und Herausgeber des Allgemeinen Tarif- Anzeigers den Titel «Kaiserlicher Rat».
Über Jahre ist er dem älteren Bruder ein geschätzter Reisebegleiter. Die Briefe der Geschwister zeugen von Innigkeit ebenso wie von Distanziertheit: Rosa, die bis 1908 in der Berggasse 19 wohnt, und Dolfi bezeichnet Freud als seine Lieblingsschwestern. Als Anna in die USA und Marie nach Berlin ziehen, empfindet er dagegen Erleichterung. Pauline erwähnt Freud seltener und wenn, dann als die Tante seiner Kinder.