Trigger und Triggerwarnungen

Freuds Feststellung nach den Clark Lectures 1909, „Amerika ist ein Fehler“, verfolgt uns bis heute. Amerika ist zu einer Nation geworden, in der jedes Jahr mehr Kinder als Polizisten ermordet werden, in der es gefährlicher geworden ist, in die Schule zu gehen als Auto zu fahren. Es ist für junge Menschen heute leichter, ein Sturmgewehr zu kaufen als eine Flasche Bier, und trotzdem erhalten Leute mehr Aufmerksamkeit, die etwas Anstößiges sagen, als jemand, der eine brutale Straftat begeht. Amerika ist vielleicht nicht nur ein Fehler, aber gegenwärtig ist es ein Land, das von unvereinbaren Haltungen und seinem Hang zu Gewalt zerrissen wird.

Wie können wir diese Unstimmigkeiten verstehen – und sind wir verpflichtet, sie zu verstehen? Manchmal reicht es vielleicht aus, einfach die Widersprüche festzustellen, da Verstehen, wie Claude Lanzmann einmal gesagt hat, einfach „obszön“ sein kann. Wie kann es sein, dass heute die Gedanken- und Sprachkontrolle strenger ist als die Gesetze, die den Waffenbesitz reglementieren? Wie kann es sein, dass Universitätsprofessor:innen verpflichtet sind, ihre Studierenden mit Triggerwarnungen vorzuwarnen, bevor sie potentiell anstößiges Material präsentieren? Es gibt doch auch keine Warnsignale, wenn junge Männer in Grund- oder Mittelschulen den Abzug ziehen und unschuldige Kinder und Jugendliche ermorden.

Wenn Freud in Warum Krieg (1932/1933) meint, „Recht und Gewalt sind uns heute Gegensätze“ und „… daß sich das eine aus dem anderen entwickelt hat“, dachte er daran, dass „Interessenkonflikte unter den Menschen … durch die Anwendung von Gewalt entschieden“[1] werden. Übertragen wir dieses Argument auf die aktuelle gesellschaftspolitische Situation in den USA, könnten wir zum bitteren Schluss kommen, dass dieser Interessenkonflikt mit den Leben und Schicksalen von Kindern und dem Recht der Erwachsenen ausgespielt wird, jung und unschuldig zu bleiben. Während Kinder in Schulen gnadenlos ermordet werden, fordern Erwachsene ein, wie empfindsame Kinder behandelt zu werden, und bestehen darauf, gewarnt und beschützt zu werden, bevor ihnen die harten und manchmal traumatischen Tatsachen des Lebens gesagt werden. Etwas ist faul im Staate Amerika, wenn die symbolischen Väter (in Gestalt der Republikanischen Partei) nur darum kämpfen, die ungeborenen Kinder zu schützen, sich weigern, für härtere Waffengesetze zu stimmen, und eine Generation von jungen Erwachsenen hervorbringen, die Triggerwarnungen braucht, um nicht emotional verletzt zu werden.

Jeanne Wolff Bernstein, Ph.D., ist ehemalige Präsidentin, Supervisorin und Analytikerin am Psychoanalytic Institute of Northern California (PINC), San Francisco. Sie ist Mitglied des Lehrkörpers des PINC und des NYU Post-Doctoral Program for Psychoanalysis and Psychotherapy. Sie war 2008 Fulbright-Freud Visiting Lecturer of Psychoanalysis am Sigmund-Freud Museum in Wien. Sie ist Mitglied und Vorstandsmitglied des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse und arbeitet heute als Psychoanalytikerin in Wien. Sie hat zahlreiche Artikel zu den Schnittstellen zwischen Psychoanalyse, bildender Kunst und Film veröffentlicht. Derzeit arbeitet sie an ihrem Buch über Edouard Manet, Enframing The Gaze.

 

[1] Sigmund Freud (1931/32), Warum Krieg?, in: Gesammelte Werke, Bd. 16, S. 14.