Annas Schlafzimmer

Ausstellungsvitrine in einem beleuchteten Raum, links ist ein Teil einer Frisierkommode zu sehen, rechts eine Tür

Dieses und das nächste Zimmer gehört zur erst 1906 bezogenen zweiten Mezzaninwohnung. Die nicht für Freuds Praxis genutzten Räume wurden von der Familie bewohnt. Ab 1921 zog Tochter Anna in die beiden Räume ein. Vorher lebte hier seine Schwester Rosa Graf mit Familie. In einem Brief an Sándor Ferenczi bezeichnet Freud 1920 diese beiden Räume als „Bubenzimmer“: Der älteste Sohn Martin erhielt dieses kleinere Kabinettzimmer, seine Brüder Oliver und Ernst gemeinsam den größeren nächsten Raum. Tante Minna gebrauchte tagsüber vermutlich bereits in den Jahren, da Martin, Oliver und Ernst im Kriegseinsatz waren, zumindest einen der beiden Räume. Schlussendlich wurden die ehemaligen „Bubenzimmer“ nach dem endgültigen Auszug der drei Söhne der jüngsten Tochter Anna zugesprochen. Zu Jahresbeginn 1921 richtete Anna Freud im Kabinett ihr Schlafzimmer ein.

Anna schreibt an ihren Bruder Ernst, dass dieses Zimmer nun „alle hellen Möbel“ enthalte: die „Toilette an der langen Wand zwischen die beiden Schränke gerückt“, „das Bett gegenüber in der Fensterecke“. Bei der „Toilette“ – in Wien auch „Psyche“ genannt –, die sich auch jetzt an der Längsseite dieses Zimmers befindet, handelt es sich um jenen „Standspiegel“, den Freud in Jenseits des Lustprinzips im Zusammenhang mit dem sogenannten „Fort-Da“-Spiel seines Enkels Ernstl erwähnt.

Von diesem Raum gibt es eine Filmaufnahme, auf der das Bett zu sehen ist, daneben ein Telefon.

Ein Bild

Freigelegte Haustelefonleitung. Es gab eine interne Verbindung zu der im zweiten Stock wohnenden Freundin Anna Freuds, Dorothy Burlingham.

Dorothy Burlingham (1891–1979), Tochter des Glaskünstlers und Juweliers Louis Comfort Tiffany, kam 1925 aus New York nach Wien, wohnte seit 1929 im Haus und wurde ebenfalls Psychoanalytikerin. Es gab zwei Apparate: hier im Schlafzimmer und (wahrscheinlich den Netzanschluss) im Esszimmer. Nach der ersten Razzia der SA am 15. März 1938 wurde der Haushälterin Paula Fichtl aufgetragen, bei neuerlicher Gefährdung Dorothy zu verständigen. Am 22. März 1938, nach Eintreffen der Gestapo und Anna Freuds Verhaftung, rief Burlingham in der amerikanischen Botschaft an.

Anna Freud & Dorothy Burlingham

Gemeinsam – vor und nach dem Krieg

Anna Freud beginnt nach 1918 ihre (Lehr-)Analyse beim eigenen Vater. Ein solches Naheverhältnis zwischen Analytiker:in und Patient:in ist heute völlig undenkbar, zum damaligen Zeitpunkt aber nichts Außergewöhnliches. Auch C. G. Jung, Karl Abraham oder Melanie Klein nehmen ihre eigenen Kinder in Analyse.

1923 besucht Anna Freud, die zeit ihres Lebens gerne handarbeitet, eine Teppich- und Gobelin-Webeschule. 1925 lernt sie die Amerikanerin Dorothy Burlingham kennen, die für ihren asthmakranken Sohn Bob eine psychoanalytische Behandlung sucht. Nach Annas Einwilligung, Bobs Analyse zu übernehmen, übersiedelt Dorothy mit ihren vier Kindern nach Wien. Zunächst in Analyse bei Theodor Reik, wird Dorothy Burlingham 1927 Patientin von Sigmund Freud und bezieht 1929 die Wohnung zwei Stockwerke oberhalb der Freuds. Zwischen Anna und Dorothy entwickelt sich eine enge Beziehung, bis zu ihrem Lebensende arbeiten und leben sie zusammen.

1931 kaufen beide Frauen gemeinsam ein altes Bauernhaus in Hochrotherd im Wiener Wald, das sie mit bunten Bauernmöbeln einrichten. Nach ihrer Emigration ins Londoner Exil finden diese Möbel in einem Wochenendhaus in Walberswick an der englischen Ostküste Platz. Nach Kriegsende versucht Anna Freud den Verkauf des Anwesens in Hochrotherd, der 1938 unter Wert erfolgte und dessen Erlös an das ‚Deutsche Reich‘ fiel, rückgängig zu machen, doch ohne Erfolg.

Erst 1971 kehrt Anna Freud anlässlich des 27. Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) nach Wien zurück und besichtigt die eben eröffnete Gedenkausstellung in den ehemaligen Praxisräumen ihres Vaters. Im Rahmen des Kongresses stellt sie ihr Vorhaben vor, mit Hilfe von Bücherspenden ihrer KollegInnen der IPV eine Bibliothek in der Berggasse 19 zu errichten.

London

Was Kinder im Kriege brauchen

Angesichts der einsetzenden Luftangriffe auf London 1940 richten Anna Freud und Dorothy Burlingham Kriegskinderheime ein, die Hampstead War Nurseries. Kinder, die heimat- oder elternlos sind oder von ihren Müttern zum Schutz allnächtlich in Schutzbunker gebracht werden müssen, sollen sicher und von den Ereignissen des Krieges so weit als möglich unbehelligt untergebracht werden. Insgesamt werden 1941 drei Kriegskinderheime eröffnet; zwei im Londoner Stadtteil Hampstead, ein weiteres in Essex.

Die Einrichtungen sind gleichzeitig auch Institute der Kinderanalyse, deren Forschungsergebnisse regelmäßig publiziert werden. Freud und Burlingham erkennen u. a., dass der zerbrochene familiäre Zusammenhalt die Kinder stärker belastet als der Krieg. Im Gegensatz zu anderen Kinderheimen werden in den Hampstead War Nurseries regelmäßige Besuche der Mütter sowie das Band unter Geschwistern besonders gefördert.

Blinde Kinder und Zwillinge aus psychoanalytischer Perspektive

Zu Dorothy Burlinghams Forschungsschwerpunkten zählen blinde Kinder und Zwillinge, bisher marginale Themen in der psychoanalytischen Literatur. Noch in Wien beobachtet und analysiert sie Schüler:innen des Israelitischen Blinden-Institutes auf der Hohen Warte. Sie erkennt bald, dass die unbewussten Vorstellungen des blinden Kindes vorwiegend auf Missverständnissen und Fehlinterpretationen der Außenwelt beruhen und nur „auf dem Umweg über sein Bewusstsein“ (Burlingham, 1914) zu erreichen sind.

In ihrer 1950 veröffentlichten Monographie Twins untersucht sie die Beziehung von eineiigen Zwillingen und deren innere Vorstellungswelten. Dabei greift sie auf Beobachtungen aus den Hampstead War Nurseries zurück. Unter den 191 Kindern der Kriegskinderheime befinden sich sechs Zwillingspaare, darunter vier eineiige. Drei davon beobachtet sie über einen längeren Zeitraum: Bert und Bill, Madge und Mary sowie Bessie und Jessie, die im Juli 1941 im Alter von knapp vier Monaten aufgenommen werden.

Annas Behandlungszimmer

Ausstellungsvitrine in einem hellem Raum, im Hintergrund ein historischer Ofen

Ab Anfang 1921 verwendete Anna Freud diesen größeren Raum als ihr Arbeitszimmer, 1923 eröffnete sie hier auch ihre Praxis.

Mitte der 1920er-Jahre lud Anna Freud regelmäßig an Samstagabenden Kolleg:innen ein, um psychoanalytische, pädagogische und gesellschaftliche Fragen zu diskutieren.

Zu psychoanalytischen Behandlungen empfing sie Kinder und Erwachsene. Ihre publizierten Vorträge belegen, dass in ihren Analysestunden mitunter die Einrichtung des Zimmers wie beispielsweise der gemusterte Teppich oder der Tisch, unter dessen Tischtuch ein zehnjähriger Patient regelmäßig verweilte, miteinbezogen wurde. Wie in Freuds Praxis stand auch hier neben der Couch ein Kachelofen, dieser hat die Jahrzehnte in der Berggasse überdauert. Weiters gab es zwei Bücherregale und ein zusätzliches Büchergestell von Felix Augenfeld, ein japanisches Kastenmöbel und eine Sitzecke mit selbstgefertigten Decken. Auf ihrem Schreibtisch stand wie auf dem Freuds eine kleine Kollektion von Antiken; oberhalb der Couch hing ein Porträt ihres Vaters: wie auch heute eine Radierung von Ferdinand Schmutzer.

Aus Anna Freuds Korrespondenz mit Lou Andreas Salomé geht hervor, dass ihr Schäferhund Wolf während der Analysestunden im Raum war. (Sigmund Freud, ab 1928 Besitzer von Hunden, ließ deren Anwesenheit bei seinen psychoanalytischen Sitzungen – vielleicht seiner Tochter folgend – ebenfalls zu.)

Die Wandtapezierung war nicht raumhoch (ablesbar an den Spuren der Nagelleiste), aber in demselben Rot-Farbton wie in Sigmund Freuds Behandlungszimmer. An der Decke Reste einer Malerei der Bauzeit des Hauses und Reste einer darüber aufgetragenen Malerei des 20. Jahrhunderts.

Hietzinger Schule und Jackson Nursery

Psychoanalytische Pädagogik und Projektunterricht

Auf der Suche nach der besten pädagogischen Ausbildung für ihre vier Kinder gründet Dorothy Burlingham 1927 eine Privatschule im Haus von Eva Rosenfeld im Wiener Bezirk Hietzing. Rosenfeld, ab 1929 in Analyse bei Sigmund Freud und später selbst Psychoanalytikerin, zählt auch zu Anna Freuds engerem Freundeskreis.

Zwischen 1927 und 1933 werden ungefähr 20 Schüler:innen im Alter von acht bis 15 Jahren unterrichtet, u. a. von August Aichhorn, Peter Blos und Erik Homburger [Erikson]. Anna Freud wird, obwohl sie keine offizielle Funktion übernimmt, von ehemaligen Schüler:innen als „allgegenwärtig“ beschrieben. Statt Frontalunterricht kommen alternative Lehrmethoden wie der Projektunterricht zum Einsatz. Das ‚Arktis Projekt‘ etwa erstreckt sich über alle Lernfächer und gipfelt in der Produktion einer Weihnachtszeitung. Um das Wettbewerbsverhalten nicht zu fördern, wird auf Noten verzichtet. Ein ehemaliger Schüler beschreibt seine Zeit dort bezeichnenderweise als „verlängerte Ferien“.

Tagesbetreuung für die Kleinsten

Mit finanzieller Unterstützung der amerikanischen Ärztin Edith Jackson und Dorothy Burlingham gründet Anna Freud 1937 eine Einrichtung für die Kleinsten: Die Jackson Nursery mietet sich in das Gebäude eines Montessori-Kindergartens am Rudolfsplatz im 1. Wiener Bezirk ein. Auch die Erziehungsmethoden in der Krippe orientieren sich stark an Maria Montessoris Theorien.

Anna Freud legt Wert darauf, dass Kinder aus sozial schwachen Familien aufgenommen werden. Sie nutzt ihren Umgang mit den Kindern auch dazu, ihre eigenen Theorien über die kindliche Entwicklung in der Praxis zu überprüfen. Psychoanalytisch geschulte Betreuerinnen achten darauf, dass sich die Kinder so ungezwungen wie möglich verhalten können – nicht umsonst wird in den Protokollen der Krippe auch liebevoll vom „Affenkäfig“ gesprochen.

Die Nationalsozialist:innen – sowohl den Montessori-Methoden als auch der Psychoanalyse feindlich gesinnt – bezeichnen die Krippe abschätzig als „amerikanische philanthropische Aktion“.

Frühe Schriften

Bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Kinderanalyse

Anna Freud wird mit der Arbeit „Schlagephantasie und Tagtraum“ 1922 in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Schon bald arbeitet sie mit Erwachsenen und sechs- bis zwölfjährigen Kindern. Da die jungen Patient:innen stets von ihren Eltern geschickt werden, legt sie besonderen Wert auf längere, vertrauensbildende Kennenlernphasen, um „den Entschluss zur Analyse aus einem äußeren in einen inneren zu verwandeln“ (Anna Freud, 1927).

In der Berggasse 19 trifft sie samstagabends im Rahmen eines Arbeitskreises häufig mit den Psychoanalytikern und Pädagogen August Aichhorn, Siegfried Bernfeld und Willi Hoffer zusammen, um neben pädagogischen Fragen auch Melanie Kleins Auffassungen sowie die eigene Technik der Kinderanalyse zu diskutieren. Anders als Klein ist Anna Freud der Ansicht, dass das Spiel das freie Assoziieren nicht ersetzen kann.

Mit Aichhorn, Bernfeld und Hoffer arbeitet sie später auch im Redaktionsbeirat der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik, zu deren HerausgeberInnen sie ab 1931 zählt.

Neu im Fokus: Die Ich-Funktionen

Anna Freuds Bücher Einführung in die Technik der Kinderanalyse (1927) und Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen (1930) basieren auf Vorträgen und Vorlesungen. 1936 veröffentlicht sie ihre erste große eigenständige theoretische Arbeit: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Darin wendet sie sich der Instanz des Ich zu – für manche Kolleg:innen ein revolutionärer Schritt.

Das Werk gibt in zwölf Kapiteln einen Überblick über die technischen und theoretischen Entwicklungen der damaligen Zeit sowie eine Aufstellung und Beschreibung aller damals identifizierten Abwehrmechanismen. Anna Freud ordnet diese den drei Quellen der Angst zu, die ihr Vater bereits 1926 in Hemmung, Symptom und Angst beschrieben hat: Realangst, Triebangst und Über-Ich-Angst. In zahlreichen Fallbeispielen wird illustriert, wie die unterschiedlichen Arten der Angst mit den jeweiligen Abwehrmechanismen zusammenhängen. Auch der Abwehrmechanismus der „Identifizierung mit dem Angreifer“ wird hier erstmals erläutert.